Geschichte

„Noch bevor die Geschichte beginnt“

Schulleittung der ersten Stunde

Sitzend vor den vielen verbliebenen Ordnern der damaligen Zeit, mit reichlich Papier, gefüllt mit vielen Erinnerungen schwelgen Marlis Fischer und Erhardt Kiel in Erinnerungen. Knapp 25 Jahre später schildern die beiden ehemaligen Mitglieder der Schulleitung an der alten Wirkungsstätte im Direktorenzimmer des Friedrich-Schiller-Gymnasiums Calbe die sehr turbulente Zeit nach der deutschen Wiedervereinigung.

Die Vorbereitungen auf den Start des Gymnasiums in Calbe begannen bereits ein Jahr zuvor. Im Zuge der Demokratisierungstendenzen und der politischen Umwälzungen wurden sämtliche Direktoren von ihren Posten enthoben und durch die Kollegien neu gewählt. Auch alle bisherigen Lehrer mussten sich auf die jeweiligen neuen Schulformen bewerben.

Mit dem 17. Juni 1990 wurde die Berufung Herrn Kiels als Schulleiter des geplanten Calbenser Gymnasiums durch das Land Sachsen-Anhalt offiziell. Die schulinterne Auswahl des Stellvertreters fiel recht schnell auf Frau Fischer, die bereits in der vorangegangenen Zeit die organisatorischen Fäden der Heine-Schule in ihren Händen hielt.

Handschriftliche Notiz von Herrn Kiel, die die geplanten Schülerzahlen der jeweiligen Klassenstufen aus den umliegenden Schulen aufzeigt.

Nachdem Mitte Mai 1991 die Vorab-Schülerzahlen aus Magdeburg eingingen, konnten die Klassen gebildet und die Stundentafel entwickelt werden. 493 Schüler bedeutete 23 Klassen. Der hieraus folgende Lehrerbedarf wurde anschließend auf Grundlage der Bewerbungen unter Berücksichtigung vieler verschiedener Aspekte durch das Land Sachsen-Anhalt zugewiesen.

Für die erste Dienstberatung vor den Sommerferien 1991 fehlte noch eine entscheidende Variable – das Schulhaus. In einem Forum diskutierten unter der Leitung vom Schulrat des Kreises, Helmut Rudel, Bürger die möglichen Schulstandorte. Der Bereich der alten POS galt als zu klein und nicht erweiterbar, sodass die Auswahl der zentral gelegenen ehemaligen Schiller-Schule beschlossen wurde. Die Kreisverwaltung als Schulträger stellte umfangreiche finanzielle Mittel für den Schulstart bereit. Das Protokoll der ersten Schulkonferenz des Calbenser Gymnasiums vom 13. November 1991 zeigt dazu folgendes auf: 310.000 DM für Baumaßnahmen, 340.000 DM für Lehrmaterialien und Mobiliar und 40.000 DM für weitere benötigte Materialien.

Noch bevor der erste Schüler also die Schwelle des Calbenser Gymnasiums Anfang September 1991 übertrat, waren alle grundlegenden strukturellen schulischen Belange vorbereitet.

„Kartons bis unter die Decke“

Marlis Fischer

Als Mitglied der Schulleitung der ersten Stunde war Marlis Fischer insbesondere für den schulorganisatorischen Teil der Vorbereitungen des neuen Calbenser Gymnasiums zuständig. Im Rahmen eines Interviews blickt sie auf die Zeit vor dem ersten Schultag am 02. September 1991 zurück.

Frau Fischer mit Schürze und Staubsauger in ihrem zukünftigen Büro.

Wann begann die Vorbereitungszeit für den ersten Schultag?

Frau Fischer: Für mich persönlich begann die Vorbereitungszeit auf den ersten Schultag bereits mit der Zusage an Herrn Kiel, dass ich seine Stellvertreterin werde. Das war zeitlich knapp ein halbes Jahr vorher.

Was haben Sie als allererstes getan, als Sie erstmals das neue Schulhaus betreten haben?

Frau Fischer: Ich hatte das Schulgebäude noch gar nicht richtig betreten, da standen schon die ersten Handwerker vor mir, die mit ihrer Arbeit beginnen wollten. Glücklicher Weise hatte die Koordination Herr Dr. Matschek übernommen. Ich bin anschließend schnell in den Bio-Raum gegangen, versuchte mich insgesamt aus dem Bau-Trubel herauszuhalten und habe dort in einer Ecke den Unterricht an einer kleinen Schultafel geplant. Nebendran standen die unzähligen Umzugskartons bis unter die Decke.

Neben der Planung des anstehenden Schulalltags mussten auch zahlreiche Baumaßnahmen geplant und umgesetzt werden, was ist Ihnen dahingehend besonders in Erinnerung geblieben?

Frau Fischer: Es war unfassbar viel zu tun. Im gesamten neuen Kollegium herrschte eine ungeheure Euphorie und extremer Tatendrang. Dadurch konnte man sehr einfach über so manchen Mangel hinwegsehen.

Was war in den Vorbereitungstagen die größte Herausforderung?

Frau Fischer: Ich habe nie bezweifelt das zu schaffen, weil ich es eben auch unbedingt erreichen wollte. Herausforderung war, alles zum Laufen zu bringen, sodass zu Beginn zumindest jeder erstmal seinen Platz hatte.

In welchen Situationen hatten Sie die Befürchtung, dass sowohl die Einrichtung der neuen Schule, als auch die Schulplanung nicht rechtzeitig fertig werden könnten?

Frau Fischer: Alles war für uns komplett neu, sodass natürlich grundsätzlich ein ungutes Gefühl bestand, dass irgendwas innerhalb der Planung schief gegangen sein könnte. Viel extremer war jedoch die Angst, dass die Baumaßnahmen beziehungsweise die Reinigungsmaßnahmen nicht rechtzeitig abgeschlossen werden könnten. Die Reinigungskräfte sind am ersten Schultag 4 Uhr morgens aus dem Haus und 7 Uhr morgens haben die ersten Schüler das Schulgebäude betreten. Es war also insgesamt denkbar knapp, aber zum Glück hat alles rechtzeitig geklappt.

„Legende der Namensgebung“

Michael Ulrich

Alles begann am 2. September 1991. Erster Schultag am noch namenlosen Gymnasium Calbe. Nach den Wirren der friedlichen Revolution 1989/90 wagte das neu zusammengestellte Kollegium eine Umgestaltung der bestehenden Schullandschaft.

Dies bedeutete gymnasiale Bildung in den Räumen einer bereits bestehenden Calbenser Bildungseinrichtung. Aber welchen Namen sollte diese Einrichtung tragen? Hier eine Einigung zu erzielen war nicht einfach. Schon Monate vorher wurde emsig diskutiert, Vorschläge unterbreitet und wieder verworfen. Sollte es ein Wissenschaftler sein? Dieser Vorschlag, der heftig verteidigt wurde, konnte sich nicht durchsetzen, da es keine Tradition in unserer Stadt dafür gab.

Von einem der zukünftigen Kollegen wurde ein Vorschlag eingebracht, die neue Schule nach einem Politiker zu benennen, nämlich Otto von Bismarck. Auch hier wurde wieder heftig diskutiert mit dem Ergebnis, dass dieser Vorschlag nicht sofort verworfen wurde. Hoffnung keimte auf bei einem einzelnen Kollegen.

Dann kam der Vorschlag, der Tradition in Calbe zu folgen und unser neues Gymnasium nach einem großen deutschen Dichter zu benennen. Friedrich Schiller. Die Vorgängerschule trug diesen Namen bereits und so war es naheliegend, ihn zu übernehmen. Auf einer folgenden Dienstberatung des neuen Kollegiums wurde über den zukünftigen Namen abgestimmt. Erwartungsgemäß gewann Friedrich Schiller diese Abstimmung für sich, allerdings nicht einstimmig. Ein Kollege votierte für den einsam abgeschlagenen Otto von Bismarck.

Allerdings war die Namensgebung noch nicht offiziell, denn die ebenfalls neu zusammengesetzte Schulkonferenz, bestehend aus Lehrern, Eltern und Schülern musste ebenfalls zustimmen. Die 1. Zusammenkunft fand am 23. April 1992 in der Aula unseres Gymnasiums statt. Mit Spannung wurde das Abstimmungsergebnis erwartet. Es fiel eindeutig aus: 43 Mitglieder der Konferenz waren für den Vorschlag, 2 waren dagegen – immerhin! – und 2 enthielten sich der Stimme.

Das Logo des Friedrich-Schiller-Gymnasiums Calbe mit einem grünen Apfel und dem Schnitt vom Namensgeber Friedrich Schiller.

Nun war es offiziell. Unser neues Gymnasium bekam den Namen „Friedrich-Schiller-Gymnasium“. Und diesen Namen trägt es mit Stolz bis heute und sorgt immer wieder, auch überregional, für positive Schlagzeilen. Friedrich Schiller sagte einmal: „Wir handeln, wie wir müssen. So laßt uns das Notwendige mit Würde, mit festem Schritte tun.“ Otto von Bismarck, der in Calbe schon Würdigung erfahren hat, würde es verstehen. Sicher!

„Schiller baut neu“

Dr. Wolfgang Matschek